Völkerbund: Hoffnungsträger einer neuen Weltordnung

Völkerbund: Hoffnungsträger einer neuen Weltordnung
Völkerbund: Hoffnungsträger einer neuen Weltordnung
 
Die internationale Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg beruhte auf Machtgleichgewichten, die von den Siegermächten in Europa und in Ostasien eingerichtet wurden. In Europa bedeutete dies im Kern, dass Deutschland dauerhaft geschwächt und eingedämmt werden sollte. Die Existenz des noch vergleichsweise jungen deutschen Nationalstaats in der Mitte Europas, der sich nach dem Ersten Weltkrieg behaupten konnte, musste mit einer gesamteuropäischen Ordnung verträglich sein. Da sich das Deutschland der Vorkriegszeit aufgrund seiner Wirtschaftskraft und militärischen Stärke als übermächtig erwiesen hatte, sollte die Nachkriegsordnung dafür sorgen, dass es keinen Anlauf mehr zu Hegemonialbildung in Europa oder gar zu überseeischer Weltpolitik unternehmen konnte.
 
 Das Versailler System in Europa. ..
 
Stimmten die Siegermächte des Ersten Weltkriegs in diesem zentralen Punkt überein, so formulierten sie die Schwerpunkte ihrer Politik doch in unterschiedlicher Weise. Die USA hatten ein Interesse vor allem daran, Deutschland als wirtschaftlich potente Macht zu erhalten. Zugleich sollte sich Deutschland aber in ein liberales Weltwirtschaftssystem einbinden und damit durch die Anerkennung bestimmter Regeln kontrollieren lassen. Nicht nur von Deutschland, sondern generell, also auch von Großbritannien oder Frankreich, forderten die USA darüber hinaus entschiedene Schritte zur Abrüstung bzw. Rüstungsbegrenzung. Großbritannien unterstützte diese Linie weitgehend. Sein Sicherheitsgefühl gegenüber Deutschland war wiederhergestellt, als die deutsche Kriegsflotte ausgeliefert wurde. Frankreich dagegen als direkter Nachbar Deutschlands strebte bei Kriegsende nicht nur nach einer Beseitigung der militärischen Gefahr, die von Deutschland ausgegangen war, sondern auch nach weitgehenden territorialen Veränderungen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die zu einer Beschneidung der deutschen Machtstellung führen sollten. Aus französischer Sicht ging es um die Herstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts in Europa, das durch die politisch-militärische Führungsrolle Frankreichs auf dem Kontinent gestützt werden sollte. Zwar konnte Frankreich im Friedensvertrag von Versailles, der im Juni 1919 unterschrieben wurde, seine Maximalvorstellungen nicht durchsetzen. Aber das Versailler System, wie die internationale Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg in Europa genannt wird, trug doch in starkem Maß französischen Vorstellungen Rechnung. Es beruhte auf der momentanen Schwächung Deutschlands und dem Versuch vor allem Frankreichs, diesen Zustand im Sinne einer Sicherung des Status quo zu konservieren. Seine Strukturschwäche bestand darin, dass es von Anfang an, wenn auch mit unterschiedlichen Zielsetzungen seitens der beteiligten Staaten, dem Verlangen nach Revision ausgesetzt war. In Deutschland stand die Revision des Versailler Vertrags wie selbstverständlich bei allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Kräften ganz oben auf der Tagesordnung. Aber auch in Großbritannien und in den USA dachte man im Sinne einer Liberalisierung zugunsten Deutschlands an eine Revision. Selbst in Frankreich, der klassischen Status-quo-Macht, spielte der Gedanke der Revision immer wieder eine gewisse Rolle, wenn auch zu eigenen Gunsten, wie sie etwa in der Ruhrkrise 1923 versucht wurde.
 
 ... das Washingtoner System in Ostasien
 
In Entsprechung zum Versailler System in Europa spricht man vom Washingtoner System im Fernen Osten. Es wurde mit der Konferenz von Washington aus der Taufe gehoben, die vom November 1921 bis Februar 1922 tagte und an der die in Ostasien präsenten und an dieser Region interessierten Mächte teilnahmen. Japan, das seit dem Zeitalter des Imperialismus seinen Einfluss ausgeweitet und sich ausgebreitet hatte, wurde auf den territorialen Status quo und auf Obergrenzen in der Flottenrüstung festgelegt. In dieser Regelung kam ebenso das Interesse der USA zum Ausdruck wie in der Übereinkunft, dass in China das Prinzip der offenen Tür respektiert werden, dass also der freie Zugang zum chinesischen Markt gesichert sein sollte. Die Stabilität des Washingtoner Systems hing davon ab, ob Japan auf Dauer bereit sein würde, sich in eine westlich beherrschte und vor allem die Handschrift der USA tragende internationale Ordnung einbinden zu lassen; weiterhin, ob China es hinnehmen würde, ein Gebiet informeller Herrschaft Japans und westlicher Großmächte zu bleiben. Die nach dem Ersten Weltkrieg eingerichtete internationale Ordnung spiegelte die nationalen Interessen der Großmächte und die Machtverteilung im internationalen Kräftefeld zwischen Siegern und Besiegten wider. Darüber hinaus wurde 1919 als Institution zur Friedenssicherung der Völkerbund geschaffen. Er ging auf die Forderung des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zurück, die dieser schon während des Krieges erhoben hatte, um Krieg für die Zukunft aus der internationalen Politik nach Möglichkeit zu verbannen und um die politische Unabhängigkeit und territoriale Integrität für alle Staaten unabhängig von ihrer Größe gewährleisten zu können. Allerdings war der Völkerbund zum Zeitpunkt seiner Gründung ein Instrument in den Händen der Siegermächte und keineswegs die weltumspannende Organisation gleichberechtigter Staaten, wie es in Wilsons Vision vorgesehen war. Die Siegermächte allein hatten die Satzung des Völkerbunds ausgearbeitet und machten sie zum integralen Bestandteil aller Friedensverträge, sodass der Völkerbund als Mittel zur Zementierung des Status quo der Nachkriegszeit erschien. Nur die Siegermächte und neutrale Staaten konnten Mitglied werden. Die Verlierer des Krieges, die — wie insbesondere Deutschland — die Friedensverträge als einseitiges Diktat zurückwiesen, blieben zunächst ausgeschlossen. Erst im Dezember 1920 konnten Bulgarien und Österreich beitreten. Ungarn folgte 1922, Deutschland erst 1926 und die Türkei 1932. Auch die Sowjetunion sah im Völkerbund nicht ein Instrument zur Friedenssicherung, sondern ein Bündnis der westlichen Siegermächte zur Festschreibung der Nachkriegsverhältnisse. Sie trat dem Völkerbund erst 1934 bei. Nachteilig für die neue Institution, die ihren Sitz in Genf hatte, war jedoch vor allem, dass ausgerechnet die USA ihr fernblieben. Bei der entscheidenden Abstimmung im amerikanischen Senat verfehlte Wilson im März 1920 die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Die Bedenken von isolationistisch gestimmten Senatoren gegenüber vertraglichen Bindungen der USA, die das Land gegen seinen Willen in internationale Konflikte verwickeln könnten, waren stärker als die Argumente des Präsidenten, der den USA eine globale Rolle zuwies und zugleich ein neues Kapitel in den internationalen Beziehungen aufgeschlagen wissen wollte.
 
 Kollektive Friedenssicherung
 
Die Völkerbundsatzung verpflichtete ausdrücklich zu Abrüstung und Friedenswahrung. Gleichwohl war der Krieg nicht gänzlich aus dem Katalog der den Nationalstaaten zur Verfügung stehenden Mittel gestrichen. Die Mitglieder des Völkerbunds blieben in ihrer einzelstaatlichen Souveränität unangetastet. Sie unterwarfen sich aber einem relativen Kriegsverbot, weil sie innerhalb gewisser Fristen die Einschaltung des Völkerbunds anerkannten, bevor zum Krieg geschritten werden durfte. Die Satzung des Völkerbunds setzte eine neue Norm: Sie betonte die Friedenspflicht der Staaten und delegitimierte den Krieg. Damit schuf sie neues Völkerrecht, selbst wenn die Praxis der Völkerrechtssubjekte davon oft genug unberührt blieb. Einen Schritt weiter ging dann der Briand-Kellogg-Pakt, ein Kriegsächtungspakt aus dem Jahr 1928, dem fast alle Staaten beitraten, ohne dass freilich der Rückfall in Gewalt und Krieg dadurch verhindert werden konnte. Die Vertragspartner verpflichteten sich, auf den Krieg »als Werkzeug nationaler Politik« zu verzichten.
 
Was den Völkerbund im amerikanischen Ratifizierungsverfahren scheitern ließ, war das Prinzip der kollektiven Sicherheit. Nationale Sicherheitsinteressen sollten im Rahmen kollektiver Friedenssicherung befriedigt werden. Indem die Mitglieder des Völkerbunds versicherten, »die Unversehrtheit des Gebiets und die bestehende politische Unabhängigkeit aller Bundesmitglieder zu achten und gegen jeden äußeren Angriff zu wahren«, sollte der Frieden unteilbar werden. Auch wenn nationale Interessen im Einzelfall nicht direkt tangiert sein mochten, sollte eine Bedrohung oder Verletzung des Friedens doch als »Angelegenheit des ganzen Bundes« betrachtet werden. Diese Einengung des nationalen Handlungsspielraums markierte einen Bruch mit der herkömmlichen Auffassung, die es gerade als zentrales Merkmal staatlicher Souveränität ansah, das außenpolitische Konfliktverhalten in autonomer Entscheidung gestalten zu können. Dagegen wandten sich nicht nur die amerikanischen Kritiker. Auch im Rahmen der Völkerbundspraxis war das Prinzip der kollektiven Sicherheit in seiner reinen Form nicht durchsetzbar. Im Vorfeld des deutschen Beitritts zum Völkerbund erreichte der deutsche Außenminister Gustav Stresemann eine Auslegung des Sanktionsartikels der Völkerbundsatzung, die insbesondere auch britischen Vorstellungen entsprach. Danach sollte jedes Mitglied des Völkerbunds »loyal und wirksam« mitarbeiten und jedem Angriff in dem Maß entgegentreten, wie es »mit seiner militärischen Lage verträglich ist« und »seiner geographischen Lage Rechnung trägt«. An die Stelle der kollektiven Sicherheit war eine Regionalisierung der Sicherheit getreten.
 
Gemessen an den Zielen, die in seiner Satzung verankert waren, hat der Völkerbund versagt. Rund zwei Jahrzehnte nach Beendigung des Ersten Weltkriegs begann der Zweite Weltkrieg in Europa. Schon 1931, als Japan die Mandschurei besetzte, fand der Völkerbund keine Mittel, dem Opfer der Aggression beizustehen. Gleichzeitig sollte aber nicht übersehen werden, dass der Völkerbund dazu beitrug, neue Formen zwischenstaatlicher Kommunikation zu entwickeln. Mit den Sitzungen der jährlich zusammentretenden Völkerbundsversammlung, an der alle Mitgliedstaaten teilnahmen, und des mehrmals jährlich tagenden Völkerbundsrates, dem sowohl ständige als auch auf Zeit gewählte Mitglieder angehörten, entstand eine in dieser institutionell abgesicherten Weise bisher unbekannte multilaterale Diplomatie. Demselben Zweck dienten Völkerbundsorganisationen wie das Internationale Arbeitsamt oder die Organisation für Gesundheitswesen.
 
 Forum der kleinen und mittleren Mächte
 
Nicht immer konnte das Ziel, das die vom Völkerbund organisierten Konferenzen sich gesetzt hatten, erreicht werden. So kam es zum Beispiel auf der Weltwirtschaftskonferenz 1927 nicht zu einer Vereinbarung, Handelsschranken abzubauen. Zumindest aber versammelten sich zu dieser Konferenz unter dem Dach des Völkerbunds 47 Staaten, darunter auch Nichtmitglieder wie die USA oder die UdSSR. Es wurden Problemlagen benannt, die zwar nicht gelöst und überwunden wurden, die aber das friedenspolitische Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit hätten schärfen können. Die Experten wiesen darauf hin, dass in Europa mehr Geld für Rüstungen ausgegeben wurde, als mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vereinbar war. Auch der Abrüstungsfrage widmete sich der Völkerbund. Nach langwierigen Vorverhandlungen trat 1932 die Abrüstungskonferenz in Genf zusammen, doch fanden die Großmächte nicht zu einem Konsens. Erst recht war der Völkerbund machtlos, wenn die Großmächte zum Mittel des Krieges griffen. Deutlich wurde dies schon 1923, als Italien Korfu besetzte. Griechenland wandte sich an den Völkerbund, aber die Verhandlungen über den italienischen Abzug erfolgten nicht hier, sondern auf der Ebene der Großmachtdiplomatie außerhalb des Völkerbunds. Nicht die Autorität des Völkerbunds stellte den Frieden wieder her, sondern eine Einigung auf Großmachtebene. Bessere Möglichkeiten zur Konfliktentschärfung hatte der Völkerbund, wenn — wie im griechisch-bulgarischen Grenzkonflikt 1925 — keine Großmächte involviert waren. Unterhalb der Großmachtebene hat er immerhin in 35 Fällen erfolgreich vermittelt. Für die kleineren und mittleren Mächte war er ein Gremium, das zur stufenweisen Verringerung von Konflikten beitrug und Kriege verhinderte. Darüber hinaus diente er als Forum, über das die Weltöffentlichkeit erreicht werden konnte.
 
Prof. Dr. Gottfried Niedhart
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
UN: Die Gründung der Vereinten Nationen
 
 
Loth, Wilfried: Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1995.
 Niedhart, Gottfried: Geschichte Englands im 19. und 20. Jahrhundert. München 21996.

Universal-Lexikon. 2012.

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